RAVENSBURG / sz - Für den FV Ravensburg beginnt am Samstag das Abenteuer Fußball-Oberliga mit einem Auswärtsspiel beim FC Nöttingen. SZ-Redakteur Alexander Tutschner unterhielt sich mit Gerhard Rill, dem neuen Chef-Coach der Ravensburger, über die neue Liga und die Ziele seiner Mannschaft.
Herr Rill, waren Sie mit der Vorbereitung zufrieden?
Ich denke, wir können sogar sehr zufrieden sein. Wir haben sicher eine Zeit lang gebraucht, um vom Kopf her wieder im Training anzukommen. Nach dem irren Aufstiegserlebnis und den Feierlichkeiten musste man erst einmal wieder reinkommen. Beim 0:3 in Wangen gab es gleich einen Dämpfer. Wir hatten dann ein gutes Trainingslager am Illmensee, dann ging es aufwärts, die Mannschaft hat mit dem nötigen Ernst trainiert, wir hatten eine sehr gute Trainingsbeteiligung und fast keine Verletzungen.
Dann kamen die Ergebnisse...
Ja, wir haben uns sehr gefreut über den Sieg beim Markdorf-Cup, als wir im Endspiel den Regionalligisten SC Pfullendorf besiegen konnten. Auch im Pokal haben wir ein gutes Spiel in Reinstetten (4:0) gezeigt. Gegen Oberzell (3:1 n.V.) hat man gesehen, dass wir fit sind, dass wir auch 120 Minuten gehen können. Gegen den Oberligisten Heidenheim (1:3) haben wir 60 Minuten richtig guten Fußball gespielt. Wir haben ein gutes Niveau erreicht, jetzt kann es endlich losgehen.
Mit Marcel Riedeberger, Selim Altinsoy und Tobias Scheifler verlieren Sie wichtige Spieler...
Riedeberger und Altinsoy haben große Möglichkeiten, Marcel war drei Jahre Stammspieler, Selim hingegen konnte diese in Ravensburg nie richtig abrufen. Beide konnten zuletzt beruflich bedingt nicht so viel Zeit investieren, wie das nötig gewesen wäre. Bei Tobias Scheifler war es etwas ganz anderes, wir haben fest mit ihm für die neue Saison geplant. Er war ein Führungsspieler, der auch abseits des Platzes Vorbild war und sich sehr für die Mannschaft eingesetzt hat. Sein Wechsel zu Hollenbach hat wehgetan. Wir konnten Tobi zwar die gleiche sportliche Perspektive bieten wie Hollenbach, aber eben nicht die berufliche. Jetzt müssen wir leider gegen ihn spielen. Ich habe ihm gesagt, er soll eine gute Runde spielen, außer die zwei Spiele gegen uns...
Mit Steffen Wohlfarth konnten sie einen Tranfer-Coup landen...
Steffen Wohlfarth sehe ich als zentralen Spieler, entweder im Sturmzentrum oder auf der Sechs. Man hat gleich im ersten Spiel gegen Heidenheim gesehen, was das für ein Kaliber ist, schon alleine von seiner körperlichen Präsenz. Aber ich wehre mich dagegen, dass der FV Ravensburg jetzt nur noch aus Steffen Wohlfarth besteht. Die Mannschaft steht im Vordergrund, jeder leistet seinen Beitrag zum Erfolg und Steffen ist ein Spieler von vielen. Er kann nur Leistung bringen, wenn er in eine funktionierende Mannschaft kommt. Aber er bringt uns natürlich mit seiner Erfahrung weiter.
Ist die Abhängigkeit von Daniel Di Leo, was das Toreschießen angeht, damit passé?
Wir wollen mit allen unseren Stürmern arbeiten. Auch mit der Entwicklung von Andi Kalteis waren wir zufrieden, er arbeitet brutal, seine Torquote stimmt aber noch nicht ganz. Wir wollen breit aufgestellt sein, es wäre schön, wenn wir drei oder vier Spieler hätten, die mehr als zehn Tore schießen. Dann kann man auch einen Ausfall besser verkraften. Man kann nicht davon ausgehen, dass Di Leo immer alle Spiele machen kann. Wir erhoffen uns da auch von Rahman Soyudogru etwas, Viktor Hasenkampf ist ein Knipser, Jonas Klawitter genauso. Ich freue mich für jeden Spieler, der sich durchsetzt, durchsetzen heißt Tore schießen.
Wer soll für die kreativen Momente sorgen?
Die Jungs vom 91er-Jahrgang haben alle eine super Spielanlage, von Jona Boneberger erwarten wir uns den nächsten Schritt, wir haben ein sehr gutes Passspiel und können uns da schon durchkombinieren. Wir können Scheifler und Riedeberger nicht eins zu eins ersetzen, aber wir haben Typen wie Harun Toprak oder Jo Vees mit seiner Dynamik, die unser Offensivspiel genauso bereichern. Wir müssen von der Idee wegkommen, dass ein kreativer Spieler fünf Leute ausspielt und dann den Ball ins Tor schiebt. Je höher man kommt, desto mehr geht es darum, mit möglichst wenig Kontakten zu spielen und die Stürmer irgendwann in Position zu bringen. Heidenheim war dafür ein gutes Beispiel, da gab es bis zum Strafraum kein Dribbling.
Auch Ralf Heimgartner kann die entscheidenden Pässe spielen...
Heimgartner ist ein Schlüsselspieler, von dem hing unser Spiel im letzten Jahr sehr ab, wir wollen uns hier auch breiter aufstellen. Die Belastung war für ihn ab und an zu groß. Aber ganz klar: Von seiner Passquote wird unser Spiel auch in diesem Jahr abhängen.
Wer spielt mit Heimgartner die Doppelsechs?
Sebastian Mähr ist eine Option, der kann die Position mit seiner starken körperlichen Dominanz ausfüllen und alles abräumen, auch in der Luft. Unser Wunschspieler wäre Christian Barth neben Heimgartner. Er ist ein anderer Typ, klein, beweglich, spielstark. Mit vielen Ball-eroberungen und Tempo nach vorne. Leider laboriert er immer noch an seiner ersten schweren Verletzung, einem Muskelfaserriss, der anschließend vernarbt ist. Wir bauen ihn behutsam auf. Auch Moritz Fäßler, unsere Universalwaffe, kann auf der Sechs spielen, Steffen Wohlfarth auch.
In der Verbandsliga war die Kadertiefe eine Stärke des FV, man konnte Spiele von der Bank gewinnen, ist das in der Oberliga auch so?
Das hoffen wir, wir haben einen breiten Kader. In der vergangenen Saison ist der Kader auch durch Verletzungen und berufliche Belastungen zusammengeschmolzen. In der Rückrunde haben wir dann nur noch 16 Mann gehabt, wir haben jeden Spieler gebraucht und konnten keinem eine Pause gönnen. In diesem Jahr starten wir mit 22 Feldspielern im Kader der Ersten. Es werden nur die Leute auflaufen, die in Top-Verfassung sind und die keine Wehwehchen haben und die keine Fehlzeiten im Training haben.
Das wird bei dem einen oder anderen Spieler zu Unzufriedenheit führen, wenn er nicht spielt. Haben Sie nicht zu viele Stürmer?
Wir hatten gegen Heidenheim zehn Mann auf der Bank, das wird zu Unzufriedenheit führen. Aber wir sind jetzt in einer Liga, wo das so sein muss. Wo man nicht automatisch spielt, nur weil man da ist, sondern wo man sich durchsetzen muss. In der Offensive haben wir richtig gute Alternativen, ich wünsche mir, dass sich die Jungs zu Top-Leistungen anspornen. Wenn der eine oder andere Spieler so unzufrieden ist, dass er geht, dann wären es zu viele Stürmer. Wir hoffen aber, dass die Jungs mitziehen und auch die Spielzeit in der U 23 annehmen. Wir haben ja mit der Landesliga-Mannschaft einen optimalen Unterbau.
Wie beurteilen Sie die Qualität der Neuzugänge?
Rahman Soyudogru hat in Singen in der Oberliga eine gute Rückrunde gespielt, er war ein Wunschspieler von mir. Leider kam er nicht in körperlicher Topverfassung, er hat aber in der Verlängerung in Oberzell schon mal ein Zeichen gesetzt mit seinem Tor und der Vorlage. Er wird immer mehr Spielzeiten bekommen und richtig Druck machen. Viktor Hasenkampf ist ein Modellathlet, kommt aber aus der Bezirksliga und muss im spielerischen Bereich noch zulegen. Er ist ein Mann, der für Tore steht. Simon Wetzel hat für mich eine überraschend gute Vorbereitung gespielt. Er ist sehr beweglich, hat einen richtig guten rechten Fuß, und was mir gut gefällt, er spielt sofort mutig nach vorne. Körperlich muss er noch zulegen, auch im Zweikampfverhalten.
Außer Heidenheim II bekommen sie nur neue Gegner, haben Sie schon Infos eingeholt?
Die Oberliga ist Neuland für uns, deshalb sind wir auch vorsichtig, was unsere Zielsetzung angeht. Wir arbeiten akribisch und mit einer gewissen Demut. Wir wissen, wir sind die Aufsteiger. Der Auftakt mit Nöttingen und Walldorf wird schwer, das sind heiße Kandidaten für den Aufstieg. Auch der VfR Mannheim hat viele Möglichkeiten. In Nordbaden hat man im Bereich Mannheim, Karlsruhe, Hoffenheim viele Möglichkeiten, an gute Spieler zu kommen. Die Liga wird stark sein, aber unsere Mannschaft wird sich gut schlagen, auch die Rolle als Underdog kann uns zugutekommen. Wir sind eingespielt und auch für die anderen ein unbekanntes Team. Wir sind zusammen aufgestiegen und wir erhoffen uns sehr viel. Zwei Trainerkollegen in der Oberliga kenne ich sehr gut, Murat Isik in Reutlingen und Nico Willig von der TSG Balingen, von denen bekomme ich Informationen.
Was ist konkret das Saisonziel?
Wir wollen auf jeden Fall die Liga halten, das ist das Minimalziel. Der Aufwand, den Verein, Umfeld und Vorstandschaft in den letzten Jahren betrieben haben, um in die Oberliga aufzusteigen, war ja enorm. Es wäre er eine Katastrophe, wenn wir das wieder herschenken würden. Die ganze Stadt und die Region freut sich auf Oberliga-Fußball. Wir werden den Klassenerhalt schaffen, da bin ich mir ganz sicher. Alles andere wäre eine Zugabe, schön wäre ein gesicherter Mittelfeldplatz. Wenn wir oben mitspielen wollen, müsste schon alles stimmen. Mein unmittelbares Ziel ist es, dass wir jedes Wochenende auf Augenhöhe mit dem Gegner sind und punkten können.
Was kann man langfristig in Ravensburg erreichen?
Da müsste man den Großraum Bodensee-Oberschwaben als Ganzes sehen. Mit der Wirtschaftskraft, die wir hier unten haben, ist einiges möglich. Momentan sind die großen Unternehmen, die so etwas stemmen, bei uns noch nicht involviert. Aber wir sind ambitioniert, wir sind schon in der Oberliga, da fängt es schon an, professionell zu werden. Wir müssen jetzt von der wirtschaftlichen Entwicklung nachziehen. Wenn man die Fußball-Landkarte anschaut, wäre es meiner Meinung nach möglich, hier unten einen Profiverein zu etablieren. Aber da sind wir ganz am Anfang einer Entwicklung. Vieles ist in Bewegung, in Heidenheim habe ich noch vor zehn Jahren in der Verbandsliga auf einem gefrorenen Acker gespielt, jetzt haben die dort die Voith-Arena hingestellt. Ulm und Reutlingen sind dagegen von der Profi-Landkarte verschwunden. Die Vereine in der Oberliga schielen alle nach oben, auf zehn Jahre gesehen werden es wieder ein oder zwei Standorte in den Profibereich schaffen. Es wäre schön, wenn es hier klappen würde. Die Möglichkeiten sind da, aber das sind mittel- bis langfristige Ziele.
Sie sind erst 31 Jahre alt, in Ihrer ersten Saison als FV-Cheftrainer wartet gleich die Herausforderung Oberliga...
Ich durfte beim FV ja schon die A-Jugend trainieren sowie zwei Jahre lang die U 23. In meiner Zeit als Co-Trainer von Marco Konrad habe ich viel gelernt. Als Marco krankheitsbedingt ausfiel, habe ich die Mannschaft zwei bis drei Monate alleine trainiert. Das waren für mich wertvolle Erfahrungen, von denen ich jetzt sehr profitiere. Nach dem Abgang von Marco Konrad haben die FV-Verantwortlichen auf mich gebaut, das ist ein großer Vertrauensbeweis für mich. Man hätte auch einen etablierten Trainer holen können. Aber das macht den FV derzeit aus, eigene Leute zu entwickeln. Ich habe mich auch entwickelt und werde mich weiterentwickeln, da gibt es viel zu lernen. Es werden sicher viele knifflige Aufgaben auf mich zukommen. Ich habe jetzt eine große Aufgabe und muss mit ihr wachsen.
Wie sind die Rahmenbedingungen für das Training?
Was Betreuerstab, Physiotherapeuten und viele Dinge angeht, sehr gut. Nur bei der Infrastruktur haben wir noch Luft nach oben. Für die Stadt ist das sicher auch schwierig, die Ausgaben sind groß, da bleibt für den Fußball nicht mehr viel übrig. Aber wie wir jetzt aufgestellt sind, so geht es langfristig nicht. Unsere Plätze sind von Montag bis Freitag von 17 bis 21 Uhr belegt, so sehen die auch aus. Wir brauchen dringend noch einen Trainingsplatz. Das wäre der nächste Schritt, der uns weiterbringen würde. Trainingsarbeit ist das A und O. Manchmal glaube ich, in Ravensburg lautet das Motto: Macht mir die Trainingsplätze nicht kaputt, aber am Wochenende wollen wir tollen Fußball sehen!
Die Auswärtsfahrten werden stressig...
Ja, im nordbadischen Bereich und im Stuttgarter Raum tummeln sich die Vereine. Wir werden lange Fahrten haben, aber nicht am Vortag anreisen. Wir werden Pausen machen und auf die Ernährung achten. Aber auch die anderen Teams müssen zu uns an den Bodensee reisen. Wir werden uns an die Fahrten gewöhnen, Auswärtsspiel heißt jetzt eben vier Stunden Busfahren.
Mit Nöttingen und Walldorf haben Sie zwei Hochkaräter zum Auftakt...
Das sind nicht die Mannschaften, gegen die wir punkten müssen, da sind wir Außenseiter. Danach kommen Teams, die unsere Kragenweite haben. Aber wir freuen uns auf das erste Oberligaspiel, wir werden alles reinwerfen, und ich glaube, dass wir sofort was holen können. Wie schätzen Sie den Zuschauerzuspruch in der Oberliga ein?
Uns fehlen natürlich die Derbys gegen den FC Wangen, der ja gleich 500 Zuschauer mitbringt. Aber ich glaube, die Fußballbegeisterung in der Region ist da, man möchte höherklassigen Fußball sehen. Im Aufstiegsspiel gegen Schwetzingen hatten wir 2500 Zuschauer. Wenn wir Woche für Woche spannende Spiele zeigen, können wir vielleicht 700 Zuschauer im Schnitt anlocken.